Europawahl 2024: schockierend oder vorhersehbar?

Am vergangenen Sonntag (09.06.2024) waren EU – Wahlen, bei denen die AfD hinter der CDU zweitstärkste Kraft geworden ist, während die Parteien der Ampelregierung starke Rückschläge einstecken mussten. Die Wahlergebnisse sind mit Blick auf die gesellschaftliche und politische Entwicklung der letzten Jahre nicht wirklich überraschend. Dieser Entwicklung können wir als Linke nicht tatenlos zuschauen, wir müssen dabei jedoch aus Fehlern der Vergangenheit lernen!

Zunächst sind Wahlergebnisse Prozentsätze der Leute, die tatsächlich gewählt haben. Wenn man diese auf die Gesamtbevölkerung bezieht, dann ergibt sich erst ein realistischeres Bild der Stimmung. Dass ein gewisser Teil der deutschen Bevölkerung eine gefestigte rechte Haltung hat, kann uns nicht überraschen. Einerseits, weil es immer schon so war, andererseits, weil seit Jahren aktiv daran gearbeitet wurde. Die Kategorie “Arbeiter” ist in Umfragen mit Vorsicht zu genießen, da sie eine Selbstbezeichnung ist. Der Stand des Klassenbewusstseins legt aber nahe, dass sich z. B. Krankenschwestern und weitere Teile der Klasse dort eher nicht einordnen. Das führt dazu, dass die Zahlen der AfD unter “Arbeitern” noch einmal höher erscheinen. Das liegt auch daran, dass Werktätige in klassischen “Männerberufe” sich so häufiger als “Arbeiter” einordnen, die AfD bei Frauen gleichzeitig aber deutlich schwächer ist.

Trotzdem gibt es einen besorgniserregenden Trend bei den Wahlergebnissen unter “Arbeitern” und Jugend. Die AfD betreibt trotz aller Skandale weiterhin den modernsten und auf Jugendliche am meisten zugeschnitten Dauerwahlkampf im Netz. Sie schafft es außerdem, gerade im Osten, immer mehr auch Nahbarkeit im Alltag zu vermitteln. Die Wahlplakate der AfD waren mit Themen wie “Frieden” oder “Angst vor hohen Stromrechnungen” diesmal ein klarer Kontrast zur Inhaltsleere des Mitte-Blocks und haben eine vermeintlich klassenkämpferische Politik für die „einfachen Leute“ propagiert. Vermeintlich, weil wenn man einen Blick ins Wahlprogramm der AfD wirft, wird schnell deutlich, das auch sie keine Politik im Interesse der Mehrheit der arbeitenden Menschen machen wollen. Auch wenn der Wahlkampf der liberalen Parteien ziemlich Inhaltsleer war und SPD, Grüne und Co. auch bei Migration nichts Explizites plakatieren, sind sie in ihrer Politik in letzter Zeit noch einmal weit nach rechts auf die AfD zugesprungen. Forderungen des Bundeskanzlers nach „Abschiebungen im großen Stil“ oder die Einigung auf die rassistische GEAS-Reform, welche die Außengrenzen schützen soll, sind nur Beispiele dafür.

Wenn sich die Ergebnisse bei der Bundestagswahl bestätigen, wird es in den nächsten Jahren ungemütlicher werden. Wegen der AfD, aber auch weil es weiter klar nach Kriegskurs aussieht, den CDU, SPD, FDP, Grüne vertreten. Dessen Finanzierung und Vorbereitung werden weitere Härten, Sozialabbau und Druck nach unten “notwendig” machen. Das wird die AfD dann mit ihrer Pseudo-Friedens- und Sozialpolitik aufgreifen. Das wird weiter gelingen, solange es keine relevante antagonistisch-oppositionelle Kraft von links gibt, die die Heuchelei der AfD aufdeckt, die in der Gesellschaft und mit den Menschen arbeitet und ein authentisches Gegenangebot zur Führung der bürgerlichen Kräfte macht.

Die Linkspartei ist das Alles nicht und kriegt nun die Quittung dafür. Die Behauptung, man müsse nur Wagenknecht rausschmeißen, damit man für viele Leute wählbar wird, hat sich als das Hirngespinst erwiesen, dass es von Anfang an war. Jetzt haben wir zwei sozialdemokratische Parteien, die beide auf ihre Art und Weise scheiße sind. Dieses ganze Debakel ist aber auch eine Quittung für die jahrzehntelange Bewegungs- und Szene/ Milieuorientierung der gesamten Linken, nicht nur der Linkspartei.Es gibt aber auch Positives: Die Generation FFF hat offenbar erkannt, dass die Grünen nichts fürs Klima machen, wenn’s dem Kapital wehtut – dafür aber im Leoparden-Look für jede Initiative der Rüstungsindustrie stramm stehen – und hat sich massenhaft abgewendet. Hier ist ein großes Potenzial nach links freigeworden. Um dieses Potenzial zu nutzen, um allgemein die Chancen zu nutzen, die sich durch Polarisierung, Versagen der Sozialdemokratie und Rechtsruck ergeben, muss sich die Linke in Deutschland erneuern – praktisch, theoretisch und organisatorisch. Das heißt:

Rein in die Gesellschaft, auf die Straße, in die Stadtteile, in die Betriebe.

Marxismus wiederentdecken, auf die Höhe der Zeit heben und als Werkzeug anwenden.

Eine Kommunistische Partei mit klarem Ziel und einer langfristigen Strategie aufbauen.

Klingt schwierig und nach viel Arbeit?

Ja. Es wird extrem schwierig und es wird verdammt viel Arbeit.

Aber es ist unsere einzige Chance, aus der gegenseitigen Befeuerung von Mitte und AfD auszubrechen. Es ist die einzige Chance, einen wirkungsvollen und aussichtsreichen Kampf gegen die AfD zu führen. Es ist die einzige Chance die Amokfahrt der Herrschenden und des Kapitals Richtung Weltkrieg, Klimakollaps und Faschisierung noch zu stoppen. Die “Mitte”, die “Zentristen”, die Liberalen, Konservativen und “Sozialdemokraten” werden die Rechten nicht aufhalten. Manche wollen es nicht, alle können sie es nicht. Das ist die Lehre der deutschen Geschichte. Das zeigt sich aber auch heute überdeutlich, wenn wir nach Frankreich, Österreich, Italien, Argentinien und in unzählige andere Länder schauen. Es kommt jetzt überall auf die Linke an.

Es kommt auf uns an.