Conny ist tot. Wie starb sie? Und warum?
Um das zu verstehen, muss man die Situation des Jahres 1989 in Göttingen kennen. Die Mauer war gerade gefallen, die Faschisten fühlen sich überall im Aufwind. Sie versuchen sich im Alltag auf den Straßen breit zu machen und greifen Linke, Obdachlose und Migrant*innen an. Es gibt etliche Verletzte und Tote. Von 1987 bis 1989 verdreifacht sich die Anzahl der faschistischen Angriffe in Göttingen – von jährlich 25 auf 83. 83 Angriffe im Jahr bedeutet im Schnitt ein faschistischer Angriff alle 4 Tage.
Als Reaktion auf diese Angriffe organisiert sich der antifaschistische Selbstschutz, auch in Göttingen. Abends treffen sich Antifaschist*innen in ihren Wohnungen und WGs und halten sich bereit. So auch am Abend des 17. November 1989, also heute vor 35 Jahren. Es war kurz vor neun Uhr, als es zu einer Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe Nazis und einer Gruppe Antifaschist*innen vor dem Apex kam. Als die Auseinandersetzung schon vorbei ist, treffen etwa 30 weitere Antifas am Ort des Geschehens ein, unter ihnen auch Conny. Nachdem sie feststellen, dass die Nazis bereits vertrieben sind, versuchen sie zum Zentralcampus zu gelangen, um sich dort aufzulösen. Wegen einer Polizeisperre in der Innenstadt nimmt Conny’s Gruppe einen Umweg zur Uni und kommt durch einen kleinen Durchgangsweg auf die Weender Landstraße zu.
Die Polizei hatte sich inzwischen dazu entschieden vom Schutz der Nazis zum Angriff auf die Antifaschst*innen überzugehen. Im Polizeifunk, der damals von Antifas abgehört wurde, fiel der Satz: „wenn wir genug sind, dann sollten wir sie plattmachen.“ Die Polizei zieht für dieses „plattmachen“ mehrere Zivile Streifenkommandos, Streifenwagen und eine Hundestaffel zusammen. Hinter der Gruppe springen Zivilpolizisten mit Schlagstöcken aus Autos und treiben die Antifas den Weg hoch. Hier vorne an der Straße versuchen Streifenwagen mit ausgeschaltetem Blaulicht den Fluchtweg zu blockieren. Auch von hier greift die Polizei an. Ein Polizist springt mit erhobenem Schlagstock auf Conny zu. Conny versucht in die einzig mögliche Richtung auszuweichen und läuft auf die Straße. Sie wird von einem Auto erfasst, durch die Luft geschleudert und ist sofort tot.
Die Polizisten schlagen weiter auf Connys Genoss*innen ein und versprühen CS-Gas. Sie fordern sogar einige von Ihnen auf, sich neben Conny auf die Straße zu legen. Menschen, die sich um Conny kümmern wollen, werden mit Knüppeln und Hunden bedroht. Die Polizisten leisten auch nach Aufforderung keine Erste Hilfe, sondern versuchen mehrmals Antifaschist*innen festzunehmen. Der Notarzt, der etwa acht Minuten später eintrifft, kann nur noch Connys Tod feststellen.
In Reaktion auf Connys Tod gibt es in Göttingen und darüber hinaus Demonstrationen und Aktionen. Die Parole lautet: „Conny ist tot. Wandelt Trauer und Wut in Widerstand!“
Die Antifaschist*innen in Göttingen steigern ihren Kampf gegen die Nazis, die regelrecht aus der Stadt geprügelt werden. Ein paar Monate später gründet sich die Autonome Antifa [M] und legt den Grundstein für eine langfristige und breite antifaschistische Politik in der Stadt.
Bis heute versuchen Faschisten alle paar Jahre sich in Göttingen zu etablieren. Immer wieder wurden sie von Antifaschist*innen zurückgeschlagen. Und immer wieder hat die Polizei, die Rolle gespielt, die sie auch an jenem Abend 1989 – am Abend von Connys Tod – gespielt hat: Faschisten wurden durchweg beschützt und unterstützt, gegen Antifaschisten wurde geknüppelt. Als ein Beispiel unter unzähligen wollen wir an einen Vorfall aus dem Jahr 2017 vor der Stadthalle erinnern. Die Polizei eskortierte ein Auto voller Nazis in die Stadt und ließ ihnen dann freie Bahn. Die Nazis konnten mit einem Messer, einer Eisenstange und einer Metallkette, die sie im Auto mitgebracht hatten eine Genossin und einen Genossen angreifen und verletzen. Erst als weitere Antifas dazukamen und schlimmeres verhinderten, rückte die Polizei wieder an, ging gegen die Linken vor und sorgte dafür, dass ihre Nazis davonkommen konnten.
Dass Faschisten auch in den 35 Jahren nach Connys Tod in Göttingen nicht Fuß fassen konnten, verdanken wir dem Einsatz von mehreren Generationen mutiger Antifaschist*innen, die sich trotz der Zusammenarbeit von Staat und Nazis immer wieder durchsetzen konnten. Für ihre persönliche Risikobereitschaft, ihre Entschlossenheit und ihre Ausdauer sind wir dankbar. Auf ihre Geschichte, die auch unsere Geschichte ist, sind wir stolz. Beides bedeutet für uns aber auch eine große Verantwortung. Die Verantwortung diese hart gewonnene Errungenschaft zu erhalten und zu verteidigen.
Denn die Tatsache, dass es in Göttingen heute keinen täglichen Straßenterror der Nazis gibt, ist Voraussetzung für ein Leben in relativer Sicherheit. Sie ist Voraussetzung dafür, wie offen und frei wir linke Politik machen können, besonders im Vergleich zu Städten, in denen die Faschisten das gesellschaftliche Klima bestimmen haben und sogenannte „National befreite Zonen“ ausrufen.
Diesen Unterschied, diese Errungenschaft des antifaschistischen Kampfes, dürfen wir nicht als Göttinger Selbstverständlichkeit behandeln. Gerade dann nicht, wenn Faschisten bundesweit im Aufwind sind und wir nicht erwarten können, dass diese Entwicklung an unserer Stadt spurlos vorübergehen wird. Deshalb braucht es auch heute, immer dann wenn Faschisten in Göttingen auftauchen eine entschlossene politische und auch physische Antwort.
Aber das allein reicht nicht aus. Im Angesicht einer in der Breite der Gesellschaft erstarkenden Rechten, brauchen wir eine antifaschistische Strategie, die über die reine Defensive hinausgeht. Für uns bedeutet das eine sozialistische Politik zu entwickeln, die um die Köpfe und Herzen der Menschen kämpft.
Eine Politik, die überall klarmacht, dass die Alternative zum Bestehenden darin besteht gemeinsam nach oben zu schlagen, statt einzeln nach unten zu treten.
Eine Politik, die den Nährboden des Faschismus bekämpft, also die immer aussichtslosere, immer vereinzelndere und immer brutaler werdende kapitalistische Klassengesellschaft.
Eine Politik die diesen Verhältnissen und dem Faschismus eine Perspektive der Freiheit und Gleichheit entgegenstellt, die Perspektive des Sozialismus. Und das nicht nur in Worten, sondern in einer täglich erlebbaren Praxis!
Durch die direkte Konfrontation der Faschisten auf der Straße und die langfristige, organisierende Arbeit in den Stadtteilen und Betrieben unserer Stadt. Nur so können wir den faschistischen Vormarsch in der Gesellschaft stoppen.
Nur so können wir der großen Verantwortung gerecht werden, die Conny und alle, die nach ihr gekämpft haben, uns übergeben haben.
Gerade heute, wenn bürgerliche Parteien ausgrenzen und aufrüsten, wenn die AfD Wahlerfolge feiert, wenn die faschistische Gewalt zunimmt.
Genossen und Genossinnen, Trauer und Wut über diese Zustände reichen nicht!
Verwandelt Trauer und Wut in Widerstand!