Weg vom Rand

Im Zuge der Gründung unserer Gruppe möchten wir uns noch einmal zu unserer Vergangenheit äußern und offene Fragen klären um zu vermeiden, dass Unklarheiten die gemeinsame Arbeit in Zukunft hemmen.

Im März 2021 spaltete sich die Antifaschistische Linke International (ALI). Die Mehrheit dieser Gruppe hat gemeinsam mit Genoss*innen aus der migrantischen Selbstorganisierung, der kommunistischen Bewegung und der antifaschistischen Jugend die Sozialistische Perspektive [IL] gegründet. Die alte ALI, die von 2004 bis zu dieser Spaltung immer ein Projekt verschiedener Strömungen war, existiert nicht mehr.

In Göttingen stehen wir als Sozialistische Perspektive [IL] in der Tradition der ALI, aber auch der Autonomen Antifa [M]. Trotz ihres Namens hat die [M] Anfang der 90er Jahre einen klaren Bruch mit der (Anti-)Politik der Autonomen vollzogen. Ihr Ansatz mit festem Gruppennamen, Bündnispolitik und Medienarbeit machte sie bei den Autonomen unbeliebt. Als die [M] sich 2004 in drei Teile spaltete, war es die ALI, die die internationalistische, antimilitaristische und revolutionäre Tradition der Gruppe fortsetzte. Wir sind stolz auf unseren Beitrag zu Geschichte und Politik der ALI und werden ihr positives Erbe in unserer neuen Gruppe fortführen und bewahren. Dazu gehört unter Anderem der klare moralische Bezug auf den Widerstand gegen den deutschen Faschismus, aus dem unsere Verpflichtung als Antifaschist*innen in Deutschland erwächst.

Rückblickend betrachtet hatte sich die Spaltung der ALI schon seit einiger Zeit angekündigt. Ein Grund dafür war der Versuch von unserer Seite, eine Diskussion über die strategische Ausrichtung der Gruppe zu führen. Auch wenn zunächst Einigkeit über die Notwendigkeit einer politischen Neubestimmung zu herrschen schien, wurden unsere Diskussionsansätze blockiert.

Es entstand eine Atmosphäre, in der uns gegenüber oft polemisiert wurde, unsere Initiativen feindselig ausgelegt und zum Teil mit Angriffen beantwortet wurden. In dieser Situation war es weder möglich eine Diskussion zu führen, noch eine Einigkeit in strittigen Fragen herzustellen. Trotz unserer Ansprüche, existierten in der ALI informelle und formelle Hierarchien, die keiner demokratischen Kontrolle unterlagen. Dadurch war es überhaupt erst möglich, dass Diskussionen blockiert werden konnten, auch wenn offensichtlich war, dass ein Großteil der Gruppe diese führen wollte.

In dieser Situation wurde von einer Genoss*in gegenüber einem Genossen der Vorwurf erhoben, sich antifeministisch geäußert zu haben. Unter den Frauen* der Gruppe herrschte hierzu keine Einigkeit, da es unterschiedliche Bewertungen der Situation gab. Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt drohte die spätere Minderheit in diesem Zusammenhang mit der Spaltung. Dass mit einer so hohen Eskalationsstufe geantwortet wurde, sehen wir im Nachhinein auch im Kontext des schwelenden Konflikts um die Neuausrichtung der Gruppe.

Nach mehreren Wochen zermürbender Diskussionen wurde deutlich, dass es keine Basis für die gemeinsame Organisierung mehr gab. In dieser Hinsicht herrschte zwischen uns und den Anderen Einigkeit. Grundsätzliche Uneinigkeit bestand aber darin, wie wir auseinander gehen wollten. Die Gegenseite verhielt sich so, als würde sie mehr Legitimität besitzen, die Gruppe zu sein als wir. Sie erhob den Anspruch auf die Strukturen und materiellen Güter der Gruppe. Eine Aushandlung darüber wurde de facto unmöglich gemacht, da vorab schon ein Großteil als nicht verhandelbar erklärt wurde.

Ein zentraler Streitpunkt war zudem die Mitgliedschaft in der Interventionistischen Linken (IL). Dieser wurde in der Organisation als formeller Neuaufnahmeprozess behandelt, innerhalb dessen sich die beiden neuen Gruppen bewarben. Die Entscheidung der IL uns wieder in die Organisation aufzunehmen, die Aufnahme der Minderheit aber abzulehnen, war das Resultat dieses ausführlichen Prozesses. Ausschlaggebend waren schlussendlich die politischen Positionierungen beider Gruppen.

Unsere Position war und ist eine Orientierung auf eine Politik, die die Gesellschaft und nicht nur die eigene politische Blase adressiert. Eine Politik, die zum Ziel hat, Menschen zu organisieren und die eine eindeutige Klassenperspektive einnimmt (Mehr dazu findet ihr in unseren „Gemeinsamen Standpunkten/Points of Unity“). Wir sehen uns als Teil der Gesellschaft und der Arbeiter*innenklasse. Daraus ergibt sich für uns die Notwendigkeit sie aus ihrer Mitte heraus zu verändern, statt sich bewusst an den Rand zu stellen.

Die erzwungene Spaltung und unser schwieriger Aufbruch zu etwas Neuem haben deshalb auch positive Seiten: Wir können uns endlich konstruktiv mit den drängenden Fragen unserer Zeit beschäftigen. Und wir können endlich an der Verwirklichung einer Praxis arbeiten, die wir schon lange machen wollten.

ALI-Mehrheit

01. Mai 2022