Für einen materialistischen Antirassismus

Rassistische Morde, Polizeigewalt, Ungleichheit vor dem Gesetz und Alltagsrassismus gehören zur Realität unseres Landes. Rassismus gehört insbesondere zur Lebensrealität der arbeitenden Klasse. Viele sind von Rassismus betroffen. Gleichzeitig sind rassistische Vorstellungen auch in unserer Klasse weit verbreitet. Der Effekt des Rassismus ist Spaltung. Menschen, die im gleichen Viertel wohnen, die gleichen günstigen Produkte im Supermarkt kaufen und ihre Kinder auf die gleichen schlecht ausgestatteten Schulen schicken müssen, werden gegeneinander aufgehetzt. Die Gewalt des Rassismus richtet sich direkt gegen die Betroffenen: Mit dem „falschen“ Namen bekommt man schwerer eine Wohnung oder einen Job. Mit dem „falschen“ Aussehen drohen immer wieder Anfeindungen und Gewalt. Spätestens die Morde des Neonazi-Netzwerks „NSU“ haben gezeigt, dass Teile des Staates nicht nur rassistisch durchsetzt, sondern aktive Mittäter sind. Rund um den Globus ist Rassismus Teil der Rechtfertigungen für imperialistische Verhältnisse. Dazu werden Unterschiede erfunden, oder bestehende Unterschiede werden zur Rechtfertigung von Unterdrückung benutzt.

Auch der Rassismus hat sich mit der Zeit verändert. Heute sprechen manche Rassisten lieber von „Kulturen“, weil ihre „Rassenlehre“ wissenschaftlich widerlegt ist und bei vielen Menschen instinktiv auf Ablehnung stößt. Die Funktion bleibt allerdings die Gleiche: Menschen, die gemeinsame Interessen haben, sollen sich gegenseitig hassen und bekämpfen. Sie sollen neben sich oder nach unten schauen und dort Feinde erkennen. Die, die wenig Macht und Eigentum haben, sollen neidisch auf ihre Nachbarn mit der „falschen Herkunft“ werden. Die Macht, der Reichtum und die Arroganz der selbsternannten „Elite“ geraten so aus dem Blick.

Gleichzeitig besitzt rassistisches Gedankengut eine eigene Dynamik, die sich auch gegen die unmittelbaren Interessen der Mächtigen richten kann. Deshalb finanzieren große Unternehmen oder die Politik „Antirassismus-Trainings“ oder „Diversity-Management“. Diese Ansätze versuchen die wirtschaftsschädlichen Seiten des Rassismus zu zähmen. Sie betonen dabei Unterschiede und individuelle Schuld, statt gemeinsamer Möglichkeiten. Das ist der „Antirassismus“ der Bosse, bei dem wir wieder gegeneinander ausgespielt werden sollen. Wir sind der Meinung, dass es gerade die Gemeinsamkeiten – unsere gemeinsamen Klasseninteressen – sind, die eine Grundlage für einen wirksamen Antirassismus bieten, der uns allen ein besseres Leben eröffnet.

Wir organisieren Menschen mit und ohne Rassismuserfahrung. Wir tragen zusammen die Verantwortung dafür, diese Organisierung möglich zu machen. Die besten Methoden, um Verständnis und Vertrauen aufzubauen, sind gemeinsame Erfahrungen und gemeinsamer Kampf. Wir versuchen überall die Möglichkeit für diese verbindenden Erlebnisse zu schaffen. Dabei werden wir auch an der Überwindung von Vorurteilen und Einstellungen arbeiten, die uns durch unser Leben in einer rassistischen Gesellschaft eingeprägt wurden. Unser Antirassismus ist materialistisch, weil wir versuchen zu verstehen, warum es Rassismus gibt und wie er sich entwickelt hat. Wer Rassismus nur als „Gift in den Köpfen“ versteht, übersieht die Bedeutung des Kolonialismus, die strukturierende Rolle der Produktionsverhältnisse und die lange Geschichte rassistischer Organisationen. Unser Antirassismus basiert nicht auf Mitleid. Wir suchen und bieten weder Hilfe noch bloße Verbundenheit („Allyship“). Unser Antirassismus beruht auf dem Wissen, dass unsere Befreiung untrennbar miteinander verbunden ist. Wir suchen und bieten Genoss*innenschaftlichkeit.